Baard Kolstad: Komplex und groovy
Mit der Band Leprous hat der norwegische Schlagzeuger Baard Kolstad schon vor seinem 30. Lebensjahr im Genre des Progressive Rock für Wirbel gesorgt. In der Corona-Zeit ist mit „Aphelion“ ein neues Album entstanden – für Baard ist es das Vierte mit der Band. Man erkennt darauf eine erneute Weiterentwicklung sowohl der Band als auch des Drummings. Mit den ergänzenden Notenbeispielen zu unserem Interview in DrumHeads!! 5/2021 wollen wir euch einen Eindruck seines Spielstils verschaffen. Unser Autor Wolfgang „Woody“ Klausner gibt euch dazu an dieser Stelle einige Erläuterungen an die Hand.
(c) Freimen Photography
Beispiel 1a) "The Sky Is Red" dreitaktiges Basic-Pattern als Odd-Meter-Phrase
Zum leichteren Erlernen und Einprägen solltet ihr am besten vorab die "Tom-Herangehensweise" (Notenbeispiel 1b) angehen. Diese wird im nächsten Abschnitt erläutert. Oder ihr springt ins sprichwörtliche kalte Wasser und überspringt die Tom-Übung. Dann geht es gleich hier weiter. Das Crash auf der ersten Zählzeit wird im Song immer nur jedes zweite Mal gespielt. Damit das leicht von der Hand geht, wird beim auftaktigen Doppelschlag wohlgemerkt die Hi-Hat nicht nur mit der rechten Hand (bei Rechtshändern) gespielt. Stattdessen übernimmt die linke Hand kurzzeitig für den einen Schlag kurz vor dem Crash-Schlag der rechten Hand. Das erste Zieltempo, wo die Doppelschläge in der Hi-Hat noch aus dem Handgelenk kontrolliert werden können, dürfte bei etwa 120 bpm liegen. Um das Tempo noch mehr zu steigern, werden die meisten zum Ausführen der Doppelschläge besser auf Fingerkontrolltechnik oder einfach Springschläge setzen.Ähnliches gilt für die schnellen Doppelschläge in der Bassdrum. Es sind zwar insgesamt wenige Bassdrum-Schläge in diesen drei Takten enthalten, umso mehr fällt es dadurch auf, wenn diese nicht sauber koordiniert kommen.
Beispiel 1b) "The Sky Is Red" – Toms-Herangehensweise zum leichteren Lernen
Geht wie vorgeschlagen jeden der drei Takte erst mal einzeln und ausreichend langsam an. Durch die stufenförmig wandernde Tom-Linie beziehungsweise Tom-Melodie lässt sich die Schlaganzahl leichter merken, man erhält ein intuitives Gefühl für die Takte und Phrase, ohne unbedingt zählen zu müssen. Das erste Zieltempo, wo sich vom Hören her noch alles verfolgen lässt und auch die Doppelschläge in der Hi-Hat noch aus dem Handgelenk kontrolliert werden können, dürfte bei circa 120 bpm liegen. Schneller bis Originaltempo (141 bpm) werden sich diese Doppelschläge dann wiederum leichter via Fingerkontrolltechnik oder einfach Springschlägen auf der Hi-Hat mit dem dort wesentlich stärkeren Rebound umsetzen lassen.
Beispiel 2) Halftime-Tom-Groove-Style in "Castaway Angels" ab 3:02 min
Bezüglich Tom-Tom-Setup sollte man auch beachten, dass Baard Kolstad für diesen Song ein anderes, geliehenes Kit verwendet hat – mit zwei Standtoms und nur einem mittelgroßen Hängetom. Im offiziellen Song-Video ist das zu sehen.Beim ersten Takt handelt es sich um ein Basis-Pattern, das den Stil des Songteils ab 3:02 min widerspiegelt. Im Grunde ist das ein Halftime-Groove bei Tempo 63,5 bpm (halbe) bzw. 127 bpm (Viertel) mit klassischem Snare-Backbeat. Die rechte Hand spielt gleichmäßig auf dem höheren Standtom, wechselt für Variationen und Mini-Fills kurzzeitig zum tieferen Standtom. Der zweite Takt ist eine typische Variation, die ruhig erst mal wie notiert wiederholt geübt werden sollte. Als dritter Takt ist der auffällige Offbeat-Akzent (Zählzeit „Eins und“) notiert, der vermutlich intuitiv in den achttaktigen Phrasen meist am Ende, aber manchmal auch am Phrasenanfang vorkommt: bei 3:18 min (ein 8.Takt), 3:38 min (ein 1. Takt), 3:47 min (ein 5. Takt), 3:53 min (ein 8. Takt), 3:56 min (ein 1. Takt), 4:04 min (ein 5. Takt) und 4:09 min (ein 7. Takt). Dieser Teil wird instrumental fortgesetzt, dabei verleiht Baard Kolstad dem Groove viel Weite dadurch, dass er den Beat nun zwischen Ride, Bassdrum und Snare instrumentiert.
Beispiel 3) Halftime-Shuffle-Feel mit Stops in "Have You Ever" ab 0:42 min
Dieses Halftime-Shuffle-Feel mit Stops ist im 4/4-Takt notiert; so lässt sich trotz der vielen Snare-Ghostnotes die Snare-Backbeat-Basisstruktur gut überblicken. Die Snare-Flams im Intro sollen elektronisch Clap-artig klingen. Das lässt sich zum Beispiel erzeugen, indem man als Vorschlag für den Flam mit der linken Hand einen Rim Click spielt. Der Hauptschlag entsteht schließlich durch die rechte Hand, indem sie kräftig auf den liegen gebliebenen Stock der linken Hand schlägt. Bereits im Intro etabliert sich mit den Vierteltriolen dazu auf der Hi-Hat der 3-über-2-Polyrhythmus. Dieses Feel setzt sich dann ab 0:56 min mit Beginn des eigentlichen Shuffle-Grooves durch die entsprechende Aufteilung von Snare-Ghostnotes und Hi-Hat-Akzenten variantenreich fort.Der letzte Schlag im zweiten Takt dieser Groove-Phrase ertönt nicht im erwarteten Shuffle-Feel, sondern überraschend früh: bereits auf den zweiten Schlag der 16tel-Triolen von Zählzeit Vier.
Beispiel 4) Funky Beat Dreiergruppen @ 16tel-Feel in "The Silent Revelation"
Mit der beginnenden heavy-funky Gitarre kommt man gleich in den "Chili-Peppers"-Vibe, auch das Drumming ist entsprechend in diesem Stil angelegt: Das Intro-Fill-In überrascht gleich mit unerwarteten Offbeats. Der funky 16tel-Groove basiert auf Dreiergruppen im 16tel-Feel, angereichert durch Snare-Ghostnotes und auftaktige Hi-Hat-Öffnung zum Dreiergruppen-Phrasen-Schluss von Zählzeit Vier. Beim fünften Takt des Notenbeispiels handelt es sich um eine sehr interessant verschoben wirkende Beat-Variation, die zudem auch nicht im letzten Takt einer Vier-Takt-Phrase kommt, sondern überraschend bereits im dritten Takt – beziehungsweise hier im Intro ab dem Schlagzeug-Beat gezählt im elften Takt (0:26 min) und im fünfzehnten Takt. Nebenbei bemerkt handelt es sich dabei um einen 5/16-Abstand der Snare-Akzente ab Zählzeit Zwei.
Beispiel 5) 16tel-Triolen-BassDrum in "The Price"
Der Rhythmus der ersten eineinhalb Takte im Intro wirkt durch die darauffolgenden 16tel-Triolen auf dem Standtom ganz schön schwebend, obwohl er eigentlich "nur" ganz gerade im 16tel-Feel angelegt ist. Der 16tel-Triolen-Drum-Break hier leitet außerdem geschickt in den kontrastierenden anschließenden Beat im 16tel-Triolen-Feel über. Während die Hi-Hat eigentlich nur mit Achteln gespielt durchmarschiert, füllt die Bassdrum mit Doppelschlägen die 16tel-Triolen-Einheiten vor und nach der Backbeat-Snare auf. Diese Doppelschläge triolisch sauber zwischen die Hi-Hat zu setzen, sollte vorab auch schon gut flutschen, bevor ihr den ganzen Beat angeht. Schließlich muss dann auch noch genug Konzentration aufgebracht werden, den Einzelschlag des vorgezogenen Schwerpunkts von Zählzeit Drei mit der Bassdrum möglichst messerscharf zu platzieren. Der vierte Takt ist die Variation, welche immer so oder auch ähnlich arrangiert die viertaktige Groove-Phrase beendet. Ab der Taktmitte entsteht durch die variierte Bassdrum quasi eine Vierteltriole und somit ein 2-zu-3-Polyrhythmus mit dem binären Hi-Hat-Rhythmus. Im fünften Takt wird demonstriert, um was es sich handelt, wenn Baard immer wieder abschnittsweise 16tel-Hi-Hat spielt. Hier entsteht auch ein 2-zu-3-Polyrhythmus. Jedoch wirkt dieser im Vergleich zum Polyrhythmus des vierten Taktes wieder ganz anders, da er nun durch die Verdopplung der Hi-Hat-Schläge zu 2-vs-3 entsteht. Bei der 16tel-Hi-Hat setzt Baard die klassische Zwei-Stufen-Dynamik ein, mit dem typischen Wippe-/Schaukelbewegungs-Automatismus – also Hi-Hat-Kante als Downstrokes ausgeführt für die Akzente, Hi-Hat-Bogen als Upstrokes für die leisen Schläge.
Viel Spaß & Erfolg, euer
Über den Autor:
Wolfgang 'Woody' Klausner
Mit gerade einmal 18 Jahren wurde Woody in Dinkelsbühl an der Berufsfachschule für Musik angenommen. Danach absolvierte Klausner ein künstlerisches und pädagogisches Studium in Schlagzeug Popularmusik/Jazz an der Hochschule für Musik & Theater „Felix Mendelssohn-Bartholdy“, welches er 2002 abschloss. Zwei Auslandssemester verbrachte der Musiker mit dem "Advanced Studies Program" in New York am Drummers Collective. Hinzu kommen unzählige Auftritte verschiedenster Art, u. a. mit Chart-Künstlern wie Yvonne Catterfeld oder Martin Kesici. Seine langjährige Erfahrung als Workshop-Dozent/Coach (wie z. B. bei „Rock im Schloss“ an diversen Musikakademien), bringt Woody auch immer wieder in den Beratungsgesprächen als Landes- und Bundesjuror "Jugend musiziert" für DrumSet-Pop ein.